Realsplitting als rückwirkendes Ereignis
Einkommensteuer
Im Rahmen des sogenannten Realsplittings können Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrenntlebenden Ehegatten bis zu 12.000 € als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn sie der andere Ehegatte als sonstige Einkünfte versteuert. Voraussetzung ist, dass der Ehegatte, der den Unterhalt erhält, diesem Verfahren zustimmt, indem er die amtlich vorgeschriebene Anlage U unterzeichnet.
Praxis-Beispiel:
Die Ehefrau und ihr ehemaliger Ehemann haben sich u.a. dahingehend verglichen, dass dieser ihr binnen 8 Wochen ab Rechtskraft der Scheidung 10.000 € zahlt. Die Ehe wurde sodann rechtskräftig geschieden. Die Anlage U für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrenntlebenden Ehegatten zur Einkommensteuererklärung wurde von der Ehefrau und ihrem früheren Ehemann am 10.2.2010 unterzeichnet. Die Anlage U ging beim Finanzamt, das für den früheren Ehemann zuständig war, am 12.2.2010 ein. Die Unterhaltsleistungen haben danach 10.000 € betragen. Das für die Ehefrau zuständige Finanzamt hat die Anlage U am 3.11.2015 erhalten.
Zuvor war ein Rechtsbehelf anhängig, in dem darüber gestritten wurde, ob es sich bei den 10.000 € überhaupt um Unterhaltsleistungen gehandelt hat. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich tatsächlich um Unterhaltsleistungen und nicht um einen Zugewinnausgleich handelte und nachdem die tatsächliche Zahlung nachgewiesen wurde, berücksichtigte das Finanzamt den Abzug als Sonderausgaben. Gegenüber dem früheren Ehemann wurde am 15.9.2015 ein Änderungsbescheid erlassen. Mit Bescheid vom 26.11.2015 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid der Ehefrau, indem es die Unterhaltsleistungen als sonstige Einkünfte erfasste. Die Ehefrau legte dagegen Einspruch ein, weil sie der Auffassung war, dass die Festsetzungsfrist (Verjährungsfrist) abgelaufen sei.
Nach der Berichtigungsvorschrift der AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (= rückwirkendes Ereignis). In diesen Fällen beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt. Das Finanzgericht ist der Überzeugung, dass die Finanzbehörde rechtlich zutreffend gehandelt hat, weil erst im Jahr 2015 entschieden wurde, dass es sich bei der Zahlung von 10.000 € um Unterhaltszahlungen gehandelt habe. Daraus folgt, dass der Ansatz als Sonderausgabe beim früheren Ehemann als Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit zu werten ist. Das Finanzamt konnte daher auf Grundlage des § 175 AO den streitigen Änderungsbescheid für die Ehefrau erlassen.
Hinweis: Gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt (Az. beim BFH: X R 15/19). Bis zur Entscheidung des BFH sollten vergleichbare Fälle offengehalten werden.