Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis: Tarifbegünstigung

Einkommensteuer

Der Erlös aus der Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis kann tarifbegünstigt sein, sodass der ermäßigte Steuersatz angewendet werden kann. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt. Der Veräußerer muss seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen. Ob der Mandantenstamm „definitiv" übertragen wurde, lässt sich in der Regel erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere

  • die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis,
  • die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate,
  • eine zwischenzeitliche Tätigkeit des Veräußerers als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter des Erwerbers
  • sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen.

Praxis-Beispiel:
Mit Vertrag vom 24.1.2008 veräußerte ein Steuerberater seine Kanzlei zum 1.4.2008 für einen Kaufpreis in Höhe von 750.000 € an eine Steuerberatungsgesellschaft (S-KG). Gegenstand des Kaufvertrags war neben dem mobilen Praxisinventar auch der gesamte Mandantenstamm des Steuerberaters. Der Kläger verpflichtete sich, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und darüber hinaus neue Mandate für die S-KG zu akquirieren. Gleichzeitig schloss der Kläger mit der S-KG eine freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung, die bis zum 31.12.2010 befristet war. Danach sollte der Kläger seine bisherigen und neu akquirierten Mandanten im Namen und für Rechnung der S-KG beraten.
Das Finanzamt erließ einen Steuerbescheid für das Jahr und berücksichtigte einen Veräußerungsgewinn von 687.856 € und gewährte hierfür die Tarifbegünstigung. Bei einer späteren Betriebsprüfung kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungskanzlei als nicht begünstigter, laufender Gewinn zu erfassen sei. Denn der Steuerberater habe seine Tätigkeit für die S-KG zum 28.2.2010 aufgegeben und unter Mitnahme des überwiegenden Teils seiner Mandanten wieder eine Beratungstätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis aufgenommen. Dass dies zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht vorhersehbar gewesen sei, führt nach Auffassung des Finanzgerichts zu keiner anderen Beurteilung.

Der BFH hat die Entscheidung des Finanzgerichts bestätigt. Es hat zutreffend berücksichtigt, dass der Steuerberater seine Einzelpraxis in derselben Stadt mit einem Teil seiner früheren Mitarbeiter wiedereröffnet hat und seine Tätigkeit sowie die Art und Struktur der Mandate gleichgeblieben sind. Darüber hinaus hat das Finanzgericht zutreffend hervorgehoben, dass der Steuerberater seine früheren Mandanten auch während der 22 Monate bis zur Wiedereröffnung seiner Einzelpraxis als freier Mitarbeiter der S-KG beraten hatte. Zwar war dies für die Verwirklichung des Tatbestands einer Praxisveräußerung grundsätzlich unschädlich. Der fortdauernde Kontakt des Klägers zu seinen bisherigen Mandanten hatte aber zur Folge, dass die definitive Übertragung des Mandantenstamms auf die S-KG im Sinne einer Festigung der persönlichen Mandatsbeziehungen längere Zeit in Anspruch nahm. Jedenfalls unter Berücksichtigung dieser Besonderheit reichte die Zeitspanne von 22 Monaten bis zur Wiedereröffnung der Einzelpraxis im Streitfall nicht aus, um zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms zu führen.

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